Zum Stichwort »Weihnachts-Overkill« (Treffen am 11.12.2015)
Weihnachtsoverkill (Edith Hoffmann)
Weihnachtliche Idylle (Herbert Reichelt)
Zum Stichwort »Klavier« (Treffen am 13.11.2015)
Das Klavier (Stefanie Endemann)
Zum Stichwort »Was Kurzes« (Treffen am 13.11.2015)
Zum Stichwort »Nein!« (Treffen am 14.08.2015)
Zum Stichwort »Urlaub« (Treffen am 14.08.2015)
Zum Stichwort »Die rostigen Gesellen« (Treffen am 19.06.2015)
Die rostigen Gesellen (Stefanie Endemann)
Die rostigen Gesellen (Susanne Meyer)
Die rostigen Gesellen (Herbert Reichelt)
Zum Stichwort »Hin und weg« (Treffen am 19.06.2015)
Hin und weg! (Herbert Reichelt)
Zum Stichwort »Kichern« (Treffen am 22.05.2015)
Zum Stichwort »Verschwendung« (Treffen am 22.05.2015)
VERSCHWENDUNG (Edith Hoffmann)
Zum Stichwort »Gartenarbeit« (Treffen am 24.04.2015)
GARTENARBEIT - Akrostichon (Jorel)
Zum Stichwort »Wortschatz« (Treffen am 24.04.2015)
WORTSCHATZ - Edelsteine (Jorel)
WORTSCHATZ - Akrostichon (Jorel)
Zum Stichwort »Müde« (Treffen am 13.03.2015)
Zum Sichwort »Zehen« (Treffen am 13.03.2015)
Der Zeh tut weh (Herbert Reichelt)
Zum Stichwort »Lust und Schmerz« (Treffen am 13.02.2015)
Lust und Schmerz (Herbert Reichelt)
Zum Stichwort »Eine herrliche Woche« (Treffen am 13.02.2015)
Eine herrliche Woche (Anja Martin)
Eine herrliche Woche (Herbert Reichelt)
Zur Ausstellung »Kunst im Kasten« (Treffen am 12.12.2014)
Christmas (Stefanie Endemann; Treffen am 11.12.2015)
Ich trete vors Haus in Kälte und Regen,
da blinkt mir ein freundliches Lichtlein entgegen.
Ein Lichtlein? Nein, gleich zwei, drei und vier,
der Weihnachtsbaum schimmert vor Nachbars Tür.
Ich hebe den Blick, vom Glanz angezogen:
ein großer schlesischer Lichterbogen!
Mit strahlenden Kerzen, acht, acht plus eins.
Und siehe, da schiebt ein Gartenheinz
im Vorgarten die Lichterkarre.
Ich gehe weiter. Es geht ins Bizarre:
Wart´s ab. Au weia, Glückauf!
Ein Weihnachtsmann schwingt sich hinauf,
fassadenkletternd, und oben ragt
die ganze funkelnde Rentierjagd.
Mit Flimmerschleifen an seinem Schlitten
kommt Santa Claus einhergeritten.
Sein Rentier Rudolf mit roter Nas,
das will uns drohen. Das ist jetzt Christmas!
All dieses bunte Weihnachtsspektakel
mit Blitzen und Funkeln, Geläut und Gewackel,
was immer China produziert,
wird aufgebaut und installiert:
Die Bambis und Elche, die Rene und Rehe,
die Zwerge und Engel, was immer ich sehe,
mitsamt dem dicken Santa Claus,
die sollen nach China, die wünsch ich nach Haus!
Dann quere ich den Weihnachtsmarkt,
da droht mir bald der Herzinfarkt,
mir schwindelt, es dreht sich, ich wünsche mit Macht:
Den Stecker ziehen, und wieder ist Nacht.
Wie´s früher mal war und ging so zu Herzen,
mit Tanne und Lied, Adventskranz und Kerzen.
Weihnachtsoverkill (Edith Hoffmann; Treffen am 11.12.2015)
Jeden Abend in der Straßenbahn schau ich durch die Scheiben
und die Lichterketten singen: »Freude schöner Götterfunken«
Ich, die Tochter aus Dottendorf, spüre wie mein Aug' sich weitet
Freude legt sich auf Haut und Haar. Schon seit November seh' ich die Pracht
Menschen die es overkill nennen, kann ich nicht verstehen
Die Dunkelheit der Jahreszeit wird lieblich aufgehellt und Verse formen sich in mir:
Elektrische Lichterketten auf Bäumen
bringen abends mich zum Träumen
Ich möchte diesen Anblick nicht versäumen
drum fahre ich täglich mit der Bahn
und gucke mir das Funkeln an
In meinen Augen funkelt es auch
mir wird es warm im Bauch
Ich will diese Zeit nicht missen
denn nachts in meinen Kissen
geht es mir richtig gut
Dies zu sagen erforderte Mut
weil ich andrer Meinung bin
Ich bitte euch:
nehmt es wohlwollend hin
Weihnachtliche Idylle (Herbert Reichelt; Treffen am 11.12.2015)
Ein Reh, ein Tannenbaum, ein Elch
ein Engel, Mond und Sterne – welch
ergreifend’ Szene! Und dann mitten-
drin Sankt Niklas mit dem Schlitten.
Das alles leuchtet wie der Schnee
als Lichterketten – LED.
Mag sowas wirklich jemand leiden?
Bei Gott – den könnte ich beneiden!
So schmerzfrei durch die Weihnachtszeit,
das wär doch was! Doch ich bin’s leid!
Ach, hätt’ ich einen freien Wunsch!
Ich wählt’ nicht Glühwein oder Punsch.
Ich könnte nicht mehr an mich halten.
Ich würde euch den Strom abschalten.
Das Klavier (Stefanie Endemann; Treffen am 13.11.2015)
Es stand seit einer Generation im Wohnzimmer, schwarz und etwas verkratzt, ein typischer Staubfänger. Ab und zu hob jemand den Deckel und tippte auf ein paar Tasten, und das eingerostete, platzgreifende, unnütze Möbel gab unwillig dumpfe Töne von sich.
Seit Mama die Faxen dicke hatte mit dieser Familie, spielte sie nicht mehr, und die Perlen-Töne – etwa der Bach-Inventionen oder von »An Elise« – drangen nicht mehr durch die Räume und das Treppenhaus. Das Klavier – es hieß übrigens Eric, Eric Woodhouse, was in Brandmalerei auf seiner schwarzen Brust stand – döste meist stumm vor sich hin. Jahrelang. Vergessen und verstaubt fristete Eric seine Existenz, übte sich im Zusammenhalten des Rahmens, beherbergte Spinnen, mit denen er sich unterhielt, und widerhallte ganz, ganz leise, wenn die Diskussionen in dieser Fuck-Off-Family mal wieder so laut wurden, dass der Kronleuchter schwankte. Eric war recht zufrieden damit, vergessen zu sein.
Bis, ja bis einer kam, Rico, der Jüngste, den Deckel aufklappte und in die Tasten griff. Nicht wüst und scheppernd, mit beiden Fäusten auf sie einhämmernd wie es im Raptus gelegentlich Ricos ältere Brüder taten, so dass Eric gequält aufschrie ...
Nein, Rico legte einen Finger wie fragend auf eine der Tasten und lauschte fasziniert dem Ton, den Eric von sich gab, einem etwas dumpfen Geräusch. Die Saite war ja ganz verstaubt, aber dem Ton entrangen sich, etwas heiser, Obertöne, die sich auf dem Wege zu Erics Ohr wunderbar mischen wollten, Rico hörte das, was der Ton sagen wollte und saß ganz still. Dann rückte er heran und rührte mit einem Finger vorsichtig eine höhere Taste. Und noch eine.
Und wieder ereignete sich das Wunder: Eric begann zu sprechen, Eric sang, Eric trug mit immer klangvollerer Stimme sein Geheimnis vor, die schimmernden, schwebenden, kraftvollen Töne, die ihn und Rico in Zukunft verbinden würden. Rico ließ Eric noch einige Male sprechen und lauschte entzückt und versonnen, danach saß er
lange bei ihm, den Kopf voll Musik.
Beide wussten: Dies war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Du hast gewusst (Jorel; Treffen am 13.11.2015)
Du hast immer gewusst,
das es die Musik war die ich liebte.
Hast stundenlang am offenen
Fenster gesessen,
nur für mich deine Stücke geübt.
Wenn Tränen über meine Wangen rollten,
weil ich unfähig war,
so etwas Schönes entstehen zu lassen
wie diese Welt aus Gefühl.
Aus Sonnenschein und Vogelzwitschern
und wiederum aus Sturm und Donner,
hast du mich angelächelt
mit den Fingern
auf schwarz und weißen Rössern der Emotion.
Forderst mich,
Schreib es auf,
mach aus meiner Musik dein Märchen,
deine Geschichte.
Male die Zärtlichkeit aus Tönen
mit Farben auf dein Papier,
streichle mit deinem Können
mein Klavier.
KLAVIER (Akrostichon; Jorel; Treffen am 13.11.2015)
K
L
A
V
I
E
R
Kannst uns
Liebe lehren
Alles fühlen lassen
Vergessen machen das Leid
Innig verbinden
Emotionen schenken
Ruhe
Klavier (Jorel; Treffen am 13.11.2015)
So dunkel in der Ecke stehst du,
doch summ ich täglich Lieder,
die von dir ausgegangen.
Einst als Finger so warm und bgeschmeidig
über dich hinweg gehuscht.
Schwarz und weiß,
alle Saiten in Schwingung gebracht,
verzauberten den Raum,
sanft und melancholisch,
wütend und stark.
Alles war möglich
mit dir,
mein Klavier.
Klavier (Karlina Kellner; Treffen am 13.11.2015)
Ich rannte los. Rannte zu dem Ort, den ich so gut kannte. Ich lief durch Wiesen und Felder, und dann mitten in den Wald hinein. In meinen Wald, wie ich ihn nannte. Dort lief ich sofort zu dem Baum. Meinem Baum. In dessen Wurzeln ich so gern saß. Als ich jedoch dort ankam, stutzte ich. Mitten zwischen den Wurzeln stand ein Klavier. »Ein Klavier«, dachte ich. »Was hat ein Klavier hier zu suchen, bei meinem Baum!« Ich lief näher darauf zu. Das Instrument schien schon sehr alt zu sein. Ich drehte mich um und schaute nach einem Hocker. Doch da war keiner. Auf der Suche nach einem anderen Sitzplatz ließ ich meinen Blick erneut durch den Wald schweifen. Doch auf dem Boden lagen nur Laub, Nadeln und Äste. Wütend starrte ich auf das Klavier. Es besetzte meinen Platz! Weil ich im Stehen nicht nachdenken konnte, wurde mir schnell langweilig. Ich schaute wieder auf das Klavier und beschloss, das einzige Stück zu spielen, das ich konnte: den Flohwalzer. Ich lief auf das Klavier zu und hob die Finger auf die Tasten. Dann begann ich zu spielen. Doch schon nach den ersten zwei Tönen nahm ich die Finger wieder weg. Es klang schrecklich und verstimmt. Erneut fragte ich mich, was ein schwarzes, platzraubendes, verstimmtes Klavier in meinem Wald zu suchen hatte. Wo blieb der Gesang meiner geliebten Vögel? Plötzlich, als hätten sie mich gehört, tauchten sämtliche Vögel auf. Hätte ich nicht gewusst, dass ich sie damit vertrieben hätte, hätte ich laut gejubelt. Doch nicht wie sonst setzten sich meine Freunde nicht auf die Bäume, sondern auf das Klavier. Und sie begannen, darauf zu singen und auf den Tasten zu spielen, wie ich es bei einem verstimmten Klavier kaum für möglich gehalten hätte.
Klavier (Mainecoon; Treffen am 13.11.2015)
Für Nicholas Müller
Sie hastete durch den regnerischen Berufsverkehr. Lemmingeartiges Geschiebe am Busbahnhof, gesenkter Blick, zu müde, um zu denken. Schnelles Besetzen eines Fensterplatzes, Blick nach draußen, Stöpsel in die Ohren.
Ein leichter Anschlag, so behutsam, dass sie zunächst zweifelte, etwas gehört zu haben. Doch, ja, ein zweiter, dritter Ton, und ihr war, als würde ein Hauch über ihre Seele streichen. Rau setzte die Stimme ein, eine Stimme von weither, auch wenn sie kräftig war. Aber sie hatte im Schreien versagt, war durch viele Tränen gereinigt worden. Und doch hatte sie wieder zu sich gefunden, ihrem Ursprung tief drin.
Das Klavier beschränkte sich auf wenige Töne, eine unauffällige Unterstützung wie ein aufmunternder Blick. Und doch bildeten diese wenige Töne den Boden, auf dem die Stimme Zuversicht gewann. Ein Lied breitete sich auch wie ein Abgrund, in den der Sänger gestürzt und aus dem er wieder herausgekommen war.
Der Bus hielt, und im beschlagenen Fenster sah sie die Tränen in ihren Augen.
Oh Schock (Jorel; Treffen am 13.11.2015)
Oh Schock
Sofort
gehst du rauf auf dein Zimmer
Zieh dich um
so gehst bestimmt du nicht aus dem Haus
Dein Rock
sieht aus wie ein Gürtel nur
was man da sieht
alles Haut, ganz pur.
Ja denk nur
sie schauen dir all hinterher
und nachher
da will dich gar niemand mehr
Da bist du verschrien
nur wegen einem Minnirock
Ich renn verzweifelt in den ersten Stock
und runter komm ich in Asche und Sack
Was Kurzes (Jorel; Treffen am 13.11.2015)
Warte mal kurz
nur auf ein Wort
nein keine Panik
ich sülz dich nicht voll
mit meinen Gefühlen
noch mit den Ängsten
Erzähl dir gewiss nicht
einen Roman
über Mama und Papa
wie auf die Welt ich kam
Aber warte mal kurz
nur einen Augenblick
ich brauch von dir
nur einen Kick
der mich blicken lässt
über den Rand des Glases
das hier vor mir steht
was soll die Frage
was ich wohl trink
Ganz klar,
was Kurzes
Was Kurzes (Karlina Kellner; Treffen am 13.11.2015)
Seit Wochen wartete Oma auf ihre Häkelwolle. Eigentlich hatte sie nämlich geplant, allen eine Mütze zu Weihnachten zu häkeln. Am dritten Tag nach dem dritten Advent kam die Lieferung endlich an. Als das riesige Paket abgeliefert wurde, jubelte sie so laut, dass Opa die Zeitung aus der Hand fiel. Als sie es jedoch in die Hand nahm, kam ihr das Paket erstaunlich leicht vor. Doch sie überlegte nicht lange und riss das Paketband ab. Zuerst fiel ihr ein Zettel ins Auge:
Nach Annahme des Pakets ist kein Rückschicken mehr möglich.
Doch Oma machte sich nichts daraus, sondern warf den Zettel zur Seite. Dann jedoch schaute sie in das Paket und wurde augenblicklich wütend. In dem Karton lag ein fünf Zentimeter langer Wollfaden.
Was Kurzes (Mainecoon; Treffen am 13.11.2015)
Geboren – gewesen – gestorben.
Manche Biografie kann durchaus was Kurzes sein.
Was Kurzes (Herbert Reichelt; Treffen am 13.11.2015)
»Haben Sie nicht was Kurzes?«, fragte sie den Verkäufer. »Dieses lange Ding geht doch überhaupt nicht!«
Er schaute sie irritiert und fragend an. »Was Kurzes? Was meinen Sie denn damit? Etwas Kürzeres als das hier gibt es doch gar nicht. Mir ist jedenfalls bislang noch nichts Kürzeres begegnet.«
»Sie kennen gar nichts Kürzeres? Du meine Güte! Was ist denn das hier für ein Laden? Sie haben wirklich noch nie etwas Kürzeres gesehen? Ich fasse es nicht!«
Sie schien außer sich, und man sah ihr an, dass sie den Laden auf der Stelle verlassen würde, wenn jetzt nichts Kürzeres auf den Tisch kam. Wenn er es verhindern wollte, musste ihm schnell etwas einfallen. Er wollte die hübsche junge Frau auf keinen Fall aus seinem Laden vertreiben. Mindestens sollte sie Irgendetwas bestellen, damit er ihren Namen erfragen konnte.
Und dann hatte er die Idee: Er nahm das kleine Lyrikbändchen in die Hand und begann, Seite für Seite herauszureißen. Er schaute sie dabei liebevoll an und sagte mit fester Stimme: »Sagen Sie ›STOP‹, wenn es kurz genug ist!«
Als er bei der letzten Seite angelangt war, einem kleinen Liebesgedicht von herzzerreißendem Schmelz, rief sie – nein, sie hauchte: »STOP«, und sie sah ihn lächelnd an. »Na also«, flüsterte sie ihm ins Ohr, »geht doch!«
Und sie blieb noch auf eine Tasse Kaffee im Buchladen – vielleicht auch länger …
Nein (Jorel; Treffen am 14.08.2015)
Schon wieder stehst du da
Die Hände in den Hüften
Augen so trotzig
und Tränen kullern reichlich.
Du schüttelst den Kopf
das einzige Wort
das über deine Lippen kommt
ist Nein.
Dein Kinn zittert
du scheinst
immer kleiner zu werden.
Ich lächle
Nein
ein Mauseloch musst du nicht suchen.
Einfach so weil du sagst
»Nein ich war's nicht«
obwohl die Kuchenkrümel
an deiner Wange kleben
und du so schuldbewusst bist
Weil ich mich selber sehe in dir
streich ich dir übers Haar
und tu so
als wäre jedes Wort von dir wahr
mein Kind.
Nein II (Jorel; Treffen am 14.08.2015)
Vor der Ladentür die zu
stehe ich und schaue
Wie 20.00 Uhr?
ich glaub es kaum
Die Augen hinterm Glas sie lächeln
Nix wird’s mehr mit dem Menü
es sei
ich würde mich mal trauen
bitten, betteln um die Dinge
die so sehr ich brauche.
Die Hand winkt ab
es ist zu spät
komm'n Sie morgen wieder.
Nein sag ich
das wird wohl nichts.
Es gibt Pizza
und ich
komm nie mehr wieder.
Das erste Mal (Jorel; Treffen am 14.08.2015)
Das erste Mal
mit dir weit weg
im Zelt
ganz einfach ohne Schnörkel
mit einer Tasche auf der Walz
Am Fluss, im Tann
und auf der Wiese
Einen Apfel reichst du mir
probier doch einmal diesen
Ich wusste nicht, und kannte nicht.
hätts wirklich nie geglaubt
das du mir wie der Eva einst
die Unschuld noch mal raubst
Nun weiß ich wie es wirklich
ist so unterm Sternenzelt
wenn von der Wiese nebenan
begleitet wird mein Traum
von leisem Kuhgebimmel.
Du bist (Jorel; Treffen am 14.08.2015)
Du bist
mit Kind und Kegel
und einem kleinen Hund
gefahren in den Süden
zu suchen die blaue Stund.
Ich bin allein geblieben
am Fenster hier zu Haus
und ordne in der Vase
den lieb gemeinten Strauß.
Wir können nicht zusammen
allein wär's auch nicht fein
Du hast entschieden
bist gefahr´n
denn Urlaub muss ja sein.
Du wirst es mir erzählen
versprochen hast du's mir
was du erlebt im Campingbus
Ja alles gönn ich dir.
Das Chaos
und den Frieden
den du erleben wirst
Ich bleib auf meinem Balkon
Es ist ein Hochgenuss
Der folgende Beitrag entstand im Schreibwerkstatt-Treffen am 19. Juni 2015. Zu dieser Zeit stellte
im Glaskarree, in dem wir uns treffen,
der Künstler Odo Rumpf seine Stahlskulpturen aus,
und wir entschlossen uns, als Schreibthema
unter Bezug auf die ausgestellten Kunstwerke
das Stichwort »Die rostigen Gesellen« zu wählen.
Die rostigen Gesellen
(Stefanie Endemann; Treffen am 19.06.2015)
Auf dem Bauhof von Atopia zwitschern die Vögel, die Idylle wird durch Motorengeräusch oder sonstigen Lärm nicht gestört, wie es früher wohl war. Ich erinnere gar nicht mehr richtig, wie sich so etwas anfühlt.
Man hat mich von der Zentrale hergeschickt, ich habe mein Maultier draußen angebunden, das wuchtige Bohlentor aufgestoßen, bin in den Hof getreten und schaue mich um. Rotes Glas starrt mich an. Finger aus rostigen Drähten zeigen auf mich.
Wie die Meisterin gesagt hatte, dort stehen sie, die Rostigen Gesellen, sehr rostig, sehr schmutzig, sehr, sehr verkommen.
Es hängen Drähte, es krümmen sich unansehnliche Festplatten. ringeln sich zerfetzte bunte Kabel. Halb aufgelöstes Plastik zeigt kranke, abartige Farben. Batterien schmoren giftig in der Sommerhitze, Dahinter richten sich die Roboter mit Greifarmen und Teleskopaugen, schändliche Parodien des Menschengeschlechtes. Angewiesen und gewarnt, vorsichtig zu sein, trete ich näher.
Der Kontrast zu draußen könnte nicht größer sein. Alles in der Nähe dieser Metallburschen wirkt unordentlich, schmutzig und hässlich. Selbst die vorwitzigen Löwenzahnblumen. die überall herausschauen, sehen räudig und verkümmert aus. Glücklicherweise ist das meiste von Winden und Efeu - sie scheuen sich vor gar nichts - überdeckt und überrankt. Alles bis auf die Stellen, die keinerlei Bewuchs aufweisen, sondern den Blick auf nackte, arme Erde und unappetitlich schillernde Erdölsoßen freigeben. Mobilphones und Tablets stapeln sich in den Ecken zu Bergen. Ich fühle mich krank. Nur Unbrauchbares oder Giftiges ist es. was uns die angebliche Zivilisation unserer Großeltern und Eltern hinterließ. Nach dem Zusammenbruch war unter den Überlebenden der Konfuzius-Rat zusammengetreten. Man wollte beim Neuanfang alles anders gestalten. Das hieß für uns neue Generationen des Aufbaus der Rückgriff auf die einfachen, wahren und tauglichen Lebensprinzipien der Urahnen, der Achtung der Umwelt, ernsthafte Ausbildung in Gesängen und Tänzen, Ächtung der praktischen Mathematik und der mechanisch-technischen Künste, sofern sie über Spiel und intellektuelle Übung hinausgehen und in den Alltag vordringen. Die Ächtung des Kriegs sowieso, und die Meister mussten sofort eingreifen und Kinder und Erwachsenen isolieren, die kriegerische Gelüste entwickelten und asoziale Instinkte zeigten. Es gab da zuverlässige Kriterien ...
Der Anblick- nach gerade vierzig vergangenen Jahren - ist entsetzlich, macht beklommen. Jetzt erst begreife ich recht, was man mich in der Konfuzius-Schule gelehrt hatte und wie intensiv die Meister die Katastrophe als die endgültige Lehre begriffen hatten und wie wesentlich und wichtig es gewesen war, den spirituellen Weg einzuschlagen, - Und welch ein Vorzug es war. dass besonders viele Personen aus entlegenen Gebieten überlebt hatten, die seit jeher viel Geist und wenig materielle Ressourcen besessen hatten. Die konnten, mussten und müssen unsere Lehrer sein. Einfach war es keineswegs gewesen, diejenigen auszuschalten, die auf neues Unheil sannen, die auf dem falschen Wege neu beginnen wollten, gar nicht einfach, doch endlich waren sie besiegt worden und unter die Erde und in die Berge verbannt, wo sie zwischen ihren Ölablagerungen, unter ihren mit ihnen dorthin verbrachten untauglichen Düsenjägern, Panzern und Raketen weiter existieren und wirken mochten, was sie taten: Ab und zu ging ein Sprengkörper von unten hoch und verwüstete weiträumig unsere Landschaft.
Damit musste und muss gründlich ein Ende gemacht werden. Auch dies Museum "Bauhof Atopia"' muss endgültig vernichtet werden.
Wir Guten müssen endlich unbehelligt von derartigen Erinnerungen unserer Weisheit leben können, geschützt vor Ekel und Widerwillen gegen dies Alte, die Rostigen Gesellen, das Verrottete muss auf ewig verschwinden, und mit ihnen der Wahn und die Hoffnung auf Wiederherstellung jener mörderischen Zivilisation. Kein Museum mehr: auch die letzte materielle Erinnerung muss gelöscht werden.
Der Anblick hilft uns nicht. Im Herzen Ekel. Widerwillen und Groll häufe ich Blöcke, schichte Klötze, sammele Reisig, schlage Feuer aus dem mitgebrachten Zunder und vernichte dies Museum des schändlichen Paradieses. Es knattert und stinkt ungeheuerlich, eine übelfarbene Lohe schlägt zum Himmel.
Aus der Ferne betrachte ich lange, allzu lange dies Feuermeer.
Der folgende Beitrag entstand im Schreibwerkstatt-Treffen am 19. Juni 2015. Zu dieser Zeit stellte
im Glaskarree, in dem wir uns treffen,
der Künstler Odo Rumpf seine Stahlskulpturen aus,
und wir entschlossen uns, als Schreibthema
unter Bezug auf die ausgestellten Kunstwerke
das Stichwort »Die rostigen Gesellen« zu wählen.
Die rostigen Gesellen
(Susanne Meyer; Treffen am 19.06.2015)
Die rostigen Gesellen
vom Gymnastik-Club »Ahoi«
treffen einmal sich die Woche,
geben sich den letzten Deu.
Keiner ist da unter 80,
alle plagt das Rheuma und
mit den Knochen geht´s so leidlich,
aber flott geht´s mit dem Mund.
»Wisst ihr damals noch«, sagt Willi,
»damals ging ich in die Knie
vor der wunderschönen Lilly,
heute hab´als Frau ich sie.«
»Ach ja damals«, schwärmt der Hermann,
»damals ging der Kopfstand noch,
für die zauberhafte Berta,
heut´ pfeif ich aus dem letzten Loch.«
Aber so ein wenig Training
für den Zungenmuskel doch
heiter und beschwingt wie heute,
also das geht immer noch !
Der folgende Beitrag entstand im Schreibwerkstatt-
Treffen am 19. Juni 2015. Zu dieser Zeit stellte
im Glaskarree, in dem wir uns treffen,
der Künstler Odo Rumpf seine Stahlskulpturen aus,
und wir entschlossen uns, als Schreibthema
unter Bezug auf die ausgestellten Kunstwerke
das Stichwort »Die rostigen Gesellen« zu wählen.
Die rostigen Gesellen
(Herbert Reichelt; Treffen am 19.06.2015)
Auch wenn sie dich charmant umgarnen,
du solltest sie nicht gleich umarmen.
Der Rost färbt in die Kleider aus.
Das kriegst du niemals wieder raus!
Drum lass die rostigen Gesellen
in ihren Eisenschrott-Gestellen
ganz einfach ohne Schmusen steh’n.
Sie werden nicht von dannen geh’n.
Erfreu dich an der Monsterschau,
dem kuriosen Drahtverhau!
Doch auch, wenn sie dir harmlos schienen,
ein Tipp: Träum‘ besser nicht von ihnen!
Hin und weg (Susanne Meyer; Treffen am 19.06.2015)
Anton schwärmt für die Luise,
keine küsst so süß wie diese,
zu ihr zieht´s ihn immer hin,
hat da einiges im Sinn.
Doch Luise zeigt sich spröde:
»Ja, nein, vielleicht ... ich weiß nicht recht.«
Das findet unser Anton öde,
ärgerlich und ungerecht.
Ist er doch ein Schwerenöter,
hat´s bei jeder noch geschafft,
gibt sich soviel Mühe, aber
hier wird er nur angeblafft.
Eines Tages sieht er plötzlich
sein Luischen vor sich geh´n,
Hand in Hand mit Irmintrude,
nein, das will er gar nicht seh´n.
Ach, was für ein herber Schreck!
Das will er nun gar nicht sehen,
nein, da will er nur noch weg !
Hin und weg! (Herbert Reichelt; Treffen am 19.06.2015)
Manchmal bin ich hin und weg
von Versen, die ich lese.
Doch oft vermisse ich den Gag:
kein Reim, kein Rhythmus – nur als These,
so kommt dann das Gedicht daher.
Und ach, dann fällt’s mir wirklich schwer,
das Werk als Lyrik zu begreifen.
Gut, man lässt Gedanken schweifen,
mag ja auch sein, ’s ist hohe Kunst.
Doch die gewinnt nicht meine Gunst.
Denn was wär Lyrik ohne Reimen?
Ein Pfleimenbaum, ganz ohne Pfleimen!
KICHER (N) (Edith Hoffmann; Treffen am 22.05.2015)
Ich rolle Kichererbsen zu dir
schenk du mir deine Kulleraugen
Hörst du das Kikeriki
draußen vom Hof?
Die Bären gehen zur Ruh
Ameisen krabbeln über den Weg
Pappeln brabbeln
leise das Nachtgebet
Winterstürme sind lange gegangen
das Johannisfeuer ist abgebrannt
Mein Kindchen,
schließe deine Kulleraugen
Die letzten Blätter rascheln für dich
nehmen dich mit in ihre Träume
Morgen früh weckt dich wieder das Kikeriki
Die braunen Bären schlecken wieder Honig
Still mein Kleines,
leise singt der Abendwind
nur für dich, mein Kind
VERSCHWENDUNG (Edith Hoffmann; Treffen am 22.05.2015)
ich verschwende meine Zeit mit dir
und du dankst mir nicht dafür
bist so von dir eingenommen
lässt mich nicht zu Worte kommen
gießt deinen Redeschwall über mich
und wo bleibe ich, ich, ich
warum hast du mich erwählt
hast mir von Liebe was erzählt
wirfst mir vor Geld zu verschwenden
sag, wie soll das mit uns enden
meine Kleider hören mir zu
ebenso die guten Schuh
drum kauf ich ohne Unterlass
Kleidung mir zu meinem Spaß
das ist keine Verschwendung
damit fühl ich mich jung
deine Sermone machen mich alt
überhaupt – du lässt mich kalt
lass mich verschwenden was ich will
und sei endlich, endlich still
Verschwendung (Jorel; Treffen am 22.05.2015)
Pure Verschwendung
Die Zeit in der ich hoffnungsvoll
wie angekettet
in meinen Räumen blieb
Du könntest ja kommen
Verschwendet hat in solchen Stunden
gar die Sonne ihre Kraft
Verschwendung all das Wasser
dass mir aus den Augen floss
Jeder Gedanke pure Verschwendung
Gott sei Dank
heut bin ich dich los
GARTENARBEIT (Edith Hoffmann; Treffen am 24.04.2015)
Garten und Arbeit, –
wer hat sich das ausgedacht?
In Nachbars Garten lächeln die Primeln, Ranunkeln, Narzissen.
Ich lächele zurück – von meinem Balkon. Die Blümelein singen mir ihr Lied.
Es geht ihnen gut. Mir auch. Hat doch nichts mit Arbeit zu tun. Lächeln und Singen strengen doch nicht an.
Mit dem Nachbarn selber habe ich noch nie gesprochen, ich sehe ihn immer nur gebückt von hinten.
Konversation muss ja nicht sein. Die Blumen sprechen ja zu mir.
»Lasst Blumen sprechen!«, ist wohl so ein gängiges Wort.
Hört, was sie mir zuraunen!
Liebe Editha höre uns zu
mit uns findest du deine Ruh
wir reden kein Schmäh und Schmuh
bei uns ruft nie einer Buh
selbst vom Bauernhof die Kuh
nickt uns zu, das ist DER Clou
Blumen im Garten kennen keine Arbeit. Habe ich ja gleich gesagt.
So was Unsinniges: Garten und ARBEIT.
Gartenarbeit (Jorel; Treffen am 24.04.2015)
Meine Bürde, meine Last
trag ich auf dem Rücken
Perlen werf' ich übern Acker
denke voll Entzücken
an den Segen den sie bringen
doch die schwarze Krähe lacht,
folgt mir auf dem Fuße
fordert mich sie mehr zu füttern
gönnt mir keine Muße
geh nur geh, krächzt glänzend sie
such die blaue Blume
So werf' ich weiter recht behänd
Perlen in die braune Krume
Etwas wird sich schon verankern
etwas wird schon bleiben
Wie ein Wort wie ein Gedanke
wird es keimen, Früchte tragen
wird beizeiten mich dann laben
und mein Hunger wird vergehn.
GARTENARBEIT - Akrostichon (Jorel; Treffen am 24.04.2015)
G
A
R
T
E
N
A
R
B
E
I
T
Ganz und gar
angeregt
ruhelos
traktiert mich der
Entschluss
Natur zu gestalten
Ackerarbeit
regt an und
beruhigt
eint Körper und Geist
ist Inspiration, Hochgefühl
Teil eines guten Lebens.
Gartenarbeit (Jürgen Laue; Treffen am 24.04.2015)
Gartenarbeit?
Gartenarbeit!
Garten?
Arbeit!
Wortschatz (Jorel; Treffen am 24.04.2015)
Kein Wort mein Schatz
ist je zuviel
in dieser Welt gesprochen
es kommt darauf an
ob du ihn findest
den Schatz
der tief im Wort verborgen
Die Feinheiten
das klare Wissen
ist das
was du wirst suchen müssen
Strahlend Wahrheit sich ergießt
wenn du nicht den Geist verschließt
WORTSCHATZ - Edelsteine (Jorel; Treffen am 24.04.2015)
W
O
R
T
S
C
H
A
T
Z
Weißgold
Opal
Rubin
Topas
Saphir
Citrin
Heliotrop
Aquamarin
Türkis
Zultanit
Durch sein Wort
durch seinen Willen
bindet der Mensch
fein ziseliert und geschliffen
die Schätze der Erde
zu seinem Vergnügen
allein um seiner
Augen Lust zu stillen
Ist die Welt in Knechtschaft
WORTSCHATZ - Akrostichon (Jorel; Treffen am 24.04.2015)
W
O
R
T
S
C
H
A
T
Z
Wenn auf die Suche geht der Geist
Orte der Ruhe zu finden
regiert das Wort auf seine Art
treibt Blüten in der Fülle
sendet voller Leichtigkeit ein
Credo
hoch zum Himmel
Ahnungen werden zum
Teil des Lebens
Zeit birgt aller Worte Schatz
Wortschatz (Jürgen Laue; Treffen am 24.04.2015)
Du Schatz, mir fehlen die Worte. Wie schön Du Dich heut ausgedrückt hast.
Wort für Wort, Schatz!
Ich? Wie? Was? Hab‘ ich was Falsches gesagt?
Schatz, was Du sagst ist doch immer falsch. Wort für Wort, Schatz!
Aber heute klang es einfach schön. Wort für Wort, Schatz.
Dafür darfst Du Dir von mir wünschen, was immer Du willst!
Du, ich nehm‘ Dich beim Wort, Schatz!
Wortschatz (Herbert Reichelt; Treffen am 24.04.2015)
Viele Worte geb' ich ein
auf dem Smartphone. Wie gemein,
hab nur einmal falsch gedrückt,
und schon war’s enorm verzwickt,
denn die Worte waren weg.
Handys sind der letzte Dreck!
»Sag, an welchem Speicherorte
finde ich denn jetzt die Worte?«
»Das kann ich dir auch nicht sagen,
musst du ‘nen Experten fragen.«
»Künftig schreib‘ ich wieder Briefe,
ganze Sätze mit viel Tiefe.
Da kann ich auch nichts falsch drücken,
und mein Wortschatz wird verzücken.«
Müde (Elmar Hucko; Treffen am 13.03.2015)
Müde bin ich geh zur Ruh
Mache noch das Fenster zu
Höre noch das Deutschlandlied
Himmelherrgott bin ich müd
Zehen (Stefanie Endemann; Treffen am 13.03.2015)
Das waren Zeiten, da ich sorglos nicht nur am Daumen lutschte, sondern mühelos auch am großen Zeh. Es musste der linke sein, da war ich ziemlich festgelegt. Der rechte schmeckte einerseits nicht so gut und war auch andererseits mühseliger zu fassen und anzuziehen. Beim Griff nach dem rechten Zeh geschah es ja immer wieder, dass mir das Bein durchschnappte, das ich mit verhältnismäßig großem Kraftaufwande, mich hochziehend, neu in Position bringen musste.
Anders mit der linken Seite. Ja, ja, ja, ich hatte ersichtlich schon eine deutliche Affinität zur Linken, als ich vergnügt und gerundeten Rückens, den geliebten Linken im Munde, fragend in die Welt hinausschaute, soweit sie sich mir in meiner angenehm rundgeschlossenen Lage erschloss, und frohgemut mein kleines Leben lebte. Meine Klagen brüllte ich ohne Hemmungen in die Welt, was meist auch bald zur Besserung führte. Doch zur Äußerung des Schmerzes nutzte ich nicht den Zeh der Zufriedenheit. Der Zeh war zart und weich, mit mildester Babyhaut und mit einem angenehm prickelnden Widerstand vom fein ausgebildeten Nagel versehen, und ich sog bequem und nachdenklich daran und hatte, ohne mir dessen bewusst zu sein, bereits das Maximum der ruhigen Einheit von Geist und Körper erreicht, das mir vergönnt sein sollte. Ja, in dieser Situation kamen mir die besten Träume und Gefühle; mein Säuglingskopf wusste nichts von aneckenden Ideen und kränkenden Gedanken. Von Beruf war ich Säugling, und saugen tat ich ja nach allen Kräften, was sonst? Und oft empfing ich angenehm unterhaltenden Besuch.
Im Grunde lief alles, wonach Philosophen streben, im Zeh zusammen: Alles war klar, unzweifelhaft, rund, und unlösbare Fragen waren noch nicht erfunden. Kein Grund, erwachsen zu werden – außer der fatalen Disposition dazu.
Irgendwann spaltete sich diese Einheit, dieses beneidenswert arrondierte Einverständnis mit mir selber. Fuß, Zeh und Nagel entfernten sich zusehends von mir, Entfremdung trat ein. Seit ich mich mit meinem Zeh nicht mehr zu so großer Innigkeit verschränken konnte, trat ein Missgeschick nach dem anderen ein, stolperte ich durchs Leben und in Fallen, riss mir den Nagel auf, litt unter kalten Füßen, auch metaphorisch gesprochen, das Haupt schwankte oben und kam auf dumme Ideen, während die einsamen Füße unten, verkannt und zu ewiger Knechtschaft verurteilt, fern, knotig, rau und rissig wurden. Ich kannte sie nicht mehr, hochnäsig, wie ich geworden war, wollte nichts mehr von ihnen wissen, den schrundigen Dienern, den Getretenen, Verschmähten und Vergessenen.
Verzeiht mir, ach, ihr Lieben, wie konnte das nur geschehen!
Zehen (Elmar Hucko; Treffen am 13.03.2015)
Bei den meisten Akten
Sind die Zehen nicht zu sehn
Dabei sind sie oft sehr schön
Schöner manchmal als die Brüste
Wenn die Malerin das wüsste
Würde sie die Zehen zeigen
Und dazu nicht länger schweigen
Die Moral von dem Gedicht
Ohne Zehen geht es nicht
Der Zeh tut weh (Herbert Reichelt; Treffen am 13.03.2015)
Alles, alles tut mir weh,
ganz besonders auch mein Zeh,
ganz egal, wie ich auch geh',
ja, und selbst, wenn ich nur steh'.
Gibt's denn wirklich keinen Dreh
gegen Schmerz im großen Zeh?
Ach, ich setz' mich ins Café,
und ich trinke einen Tee.
Und ich träum' von Übersee.
Dann tut mir auch nichts mehr weh.
Einsichten (Anja Martin; Treffen am 13.02.2015)
Ich hätte es wissen müssen. Das heißt: Eigentlich wusste ich es schon, als ich die Augen aufschlug an jenem grau verhangenen Morgen. Da war sie wieder, diese bleierne Müdigkeit, die mich seit Wochen fest im Griff hielt. Mein Kopf war schwer. Mein Herz war schwer. Meine Glieder waren schwer.
Welchen Sinn machte es da, aufzustehen?
Einfach liegenbleiben, dachte ich, und den Tag im Bett verbringen. Dem Regen lauschen, dabei Kaffee trinken und hin und wieder wegdösen.
Ja. So wollte ich es machen. Doch musste ich auch dazu aufstehen. Wie sonst sollte der Kaffee ans Bett kommen? Dieter war ja nicht mehr da. Einfach gegangen. Wegen einer Lappalie. Weil ich ihm ziemlich direkt, und zwar erst nachdem er mir doch tatsächlich –
Aber ich schweife ab. Es ging ums Aufstehen.
Mühselig schälte ich mich unter den Bettdecken hervor – es waren immer noch zwei –, bugsierte meine Füße auf den Boden und tapste in Richtung Küche. Dabei stieß mein kleiner Zeh gegen den Bettpfosten. Das tat weh! Ein brüllender Schmerz, der in diesem Moment peinigender war als das Ende der Beziehung zu Dieter.
Trauer, Qual und Schrecknis – wie weggeblasen. Weil ich mir den kleinen Zeh gestoßen hatte.
Das veränderte meine Weltsicht. Und meine Sicht auf die Liebe – zumindest auf die zu Dieter.
PS: Falls jetzt irgendjemand glaubt, ich schriebe hier Tagebuch: Weit gefehlt. Ich habe mir den Zeh nicht
angestoßen.
Lust und Schmerz (Herbert Reichelt; Treffen am 13.02.2015)
Zusammensein woll’n Schmerz und Lust.
Man hat’s ja immer schon gewusst.
Nun sind Bondage und SM
ein Kinohit. Ich frag mich, wenn
das Kino Schmerz und Lust vereint,
wird im Film dann auch geweint?
Ach, bestimmt wird auch geflennt,
und ganz zum Schluss gibt‘s happy end.
Eine herrliche Woche
(Anja Martin; Treffen am 13.02.2015)
Die Woche ist es leid. Sie hat so viele schöne Tage, aber alles dreht sich nur um den Sonntag. Das will ihr nicht einleuchten. Und dann hacken alle auf dem Montag herum. Warum eigentlich? Der ist doch ganz in Ordnung. Viele feiern ihn sogar, allerdings krank - und ziehen sich die Decke über den Kopf.
Ein Rätsel ist ihr auch der Samstag. Da haben viele Menschen frei – aber jede Menge zu tun: Einkaufen, das Auto in die Waschanlage fahren, ins Theater gehen, die Steuer erklären. Und das Ganze für den Sonntag - damit Zeit genug bleibt für das andere Müssen: in die Kirche gehen, mal ein Buch lesen, spazieren gehen, sich erholen.
Das hat sich die Woche nun lange genug mitangesehen. Und sie ist es, wie gesagt, leid. Morgen, so nimmt sie sich vor, wird alles anders werden. Da wird sie den Montag auf den Freitag, den Mittwoch auf den Samstag und den Tatort auf den Dienstag verlegen.
Sie lacht, als sie sich die Menschen und all ihre Versuche vorstellt, Sinn und Struktur in den neuen Ablauf zu bringen. Irgendwann
wird es ihnen gelingen. Das ist klar. Aber dann würde die Woche ihre Tage erneut durcheinanderwürfeln, wieder und wieder – so lange, bis die Menschen aufgeben. Vielleicht, so hofft die Woche,
entdecken sie dann die Freiheit und Schönheit, die jedem ihrer Tage innewohnen. Es wäre immerhin möglich.
Eine herrliche Woche
(Herbert Reichelt; Treffen am 13.02.2015)
Er wollte einfach nur raus, raus aus diesem fürchterlichen Alltagstrott. Jeden Tag musste er sich durch diese Berge von Steuererklärungen kämpfen, Belege überprüfen, Daten auf Plausibilität befragen – und immer mit dem sicheren Gefühl, doch nicht alles zu entdecken, was man ihm da unterschummeln wollte.
Für eine Woche war jetzt Schluss damit. Eine Woche Sylt, das hatte er sich redlich verdient. Und er verspürte schon während der langen Zugfahrt eine unbändige Vorfreude. Es würde eine herrliche Woche werden. Das Wetter war gut, die Sonne schien zum Fenster des Bahnwaggons hinein. Am blauen Himmel verloren sich vereinzelte weiße Schäfchenwolken. Und wenn die Wetterfrösche Recht behalten sollten, dann würde es die gesamte Woche über so schön bleiben.
Als der Zug über den Hindenburgdamm fuhr, fühlte er sich wie erlöst. Er empfand es wie eine Flucht in die Freiheit. Doch dann bemerkte er ein merkwürdiges Ruckeln. Und fast schien es ihm, als würde sich der Waggon ein wenig zur Seite neigen. Irgendetwas stimmte da nicht, ging es ihm durch den Kopf.
***
Wie lange hatte sie darauf warten müssen? Nahm dieser Mensch denn überhaupt keinen Urlaub? Endlich war es jetzt so weit. Zwar nur eine Woche – aber immerhin. Wie schön das war, wenn sie morgens ins Büro kam und nicht in dieses mürrische Gesicht schauen musste. Endlich konnte sie sich ungestört mit den Steuererklärungen befassen, und vor allem konnte sie auch hin und wieder mal ein Auge zudrücken, wenn es ihr angemessen schien, und zwar ohne dass dieser penetrante Miesepeter ihr dazwischen funkte. Angemessen fand sie die zugedrückten Augen zumeist dann, wenn es sich um ledige junge Männer handelte, die offenkundig nicht im Geld schwammen, und die vor ihrem geistigen Auge ein sympathisches Aussehen entwickelten. Wie diese Männer das genau schafften, und warum anderen das nicht gelingen wollte, hätte sie gar nicht sagen können. Sie kannte die Männer ja gar nicht. Aber es war einfach so, und sie wollte es auch gar nicht hinterfragen.
Eine herrliche Woche würde das werden! Ach, könnte es doch immer so sein, dachte sie. Sie öffnete ihre Schreibtischschublade und holte die Puppe heraus. Dann nahm sie die große Stahlnadel in die Hand und bohrte sie der Puppe durch die Brust. Vor ihrem geistigen Auge entstand ein wunderschönes Bild. Wie der Hindenburgdamm unter der schwerer werdenden Last des Zuges begann nachzugeben, wie erste größere Brocken den Bahndamm hinunter rollten. In der Mitte des Zuges löste sich ein Waggon aus dem Verbund und neigte sich ganz langsam zur Seite. Und dann rutschte er mit einem Gemisch von Schotter und Erde mit dem Dach voran in die schlammigen Fluten.
Es würde eine herrliche Woche werden …
Der folgende Beitrag entstand im Schreibwerkstatt-Treffen
am 12. Dezember 2014. Zu dieser Zeit fand im
Glaskarree,
in dem wir uns treffen, die Ausstellung »Kunst im Kasten« statt,
und wir entschlossen uns, als
Schreibthema die ausgestellten
Kunstwerke zu wählen.
Elmar Hucko wählte das Kunstwerk »Monsieur
Gaston«
von Hetty Liebelt
Gaston der Maler
(Elmar Hucko; Treffen am 12.12.2014)
Gaston der Maler schaut aus dem Rahmen
Er malt am liebsten schöne Damen
Ob angezogen oder nackt
Fast jede hat er angepackt
Doch keine hat ihm nein gesagt
Denn nichts ist schöner hier auf Erden
Als von Gaston gemalt zu werden
Der
folgende Beitrag entstand im Schreibwerkstatt-Treffen
am 12. Dezember 2014. Zu dieser Zeit fand im Glaskarree,
in dem wir uns
treffen, die Ausstellung »Kunst im Kasten« statt,
und wir entschlossen uns, als Schreibthema die ausgestellten
Kunstwerke zu
wählen.
Herbert Reichelt wählte das Kunstwerk »Monsieur Gaston«
von Hetty Liebelt
Dialog
über den Maler Gaston
(Herbert
Reichelt; Treffen am 12.12.2014)
»Ach, dieser Maler! Ja, wenn ich das könnte – Malen! Was wäre das für ein Leben!«
»Ach, hör doch auf! Das kannst du doch! Schau doch mal genau hin! Meinst du denn wirklich, diese Farb- kleckse auf der Palette würdest du nicht hinkriegen?«
»Ja, die Palette schon – vielleicht. Aber darum geht es doch gar nicht. Ich meine, der hat doch nicht nur die Palette mit seinen Klecksen beschmiert. Der hat doch auch schöne Bilder gemalt. Solche lichtvollen Tupfer wie bei Monet oder einzigartige verwaschene Farbflächen wie bei Turner. Um die Palette geht es doch gar nicht.«
»Woher weißt du das denn? Hast du denn schon Bilder von ihm gesehen? Er sitzt doch den ganzen Tag nur da, mit seiner Baskenmütze und dem starren Blick. Ich sage dir: Ich war am Montag schon hier. Da saß er schon genau so indisponiert mit seiner Palette in diesem Kasten. Fast könnte man meinen, er hätte sich seitdem überhaupt nicht bewegt.«
»Das sieht nur so aus. Nein, nein, er sitzt nicht einfach nur in seinem Kasten. Er hat ganz bestimmt auch wunderschöne Bilder gemalt. Schau dir doch nur mal die Tapete auf der Wand hinter ihm an. Da ist doch ein Rheintal wie bei Turner mit den Händen zu greifen. Nur so ein verlaufener roter Farbfleck für Ehrenbreitstein fehlt noch – dann wär’s doch fast ein echter Turner.«
»Ja, aber die Tapete hat er doch gar nicht selber bemalt. Damit hat er doch eigens eine berühmte Künstlerin beauftragt – die Hetty Liebelt aus Bad Godesberg. Nein, ich glaube, du machst dich zu klein. Mit diesem Maler und seiner Palette könntest du bestimmt mithalten.«
»Meinst du wirklich? Gut, dann will ich es mal versuchen. Aber zuerst muss ich mir dann auch so eine Baskenmütze kaufen, sonst kann das nichts werden. Und dann bemale ich die Tapete in unserem Wohnzimmer – aber auf jeden Fall mit einem roten Fleck für Ehrenbreitstein!«